Bericht aus der Tagung des Verlegerverbandes Schweizer Medien vom 10.1.2024
«Damit die Schweizer Medien ihre demokratiepolitische Funktion aufrechterhalten können, braucht es dringend politische Massnahmen sowie einen aktiven Umgang mit den Chancen und Risiken der generativen Künstlichen Intelligenz», fasst Andrea Masüger, Verlegerpräsident des VSM, zusammen. Damit verbunden ist ein Appell an die globalen Techplattformen nach Schutz des geistigen Eigentums und Transparenz.
(gekürzt von Claudia Baltisberger)
Masüger wählt in seiner Rede klare Worte: Die geforderten notwendigen politischen Massnahmen seien der befristete Ausbau der indirekten Presseförderung für Lokal- und Regionalzeitungen, die Anpassung des Urheberrechts ans digitale Zeitalter und den internationalen Standard (Leistungsschutzrecht) sowie eine verstärkte Rücksichtnahme der SRG auf die privaten Medien. «Die scharfen Sparmassnahmen von Medienunternehmen in den letzten Tagen und Wochen zeigen, dass die Zeit drängt», so Masüger.
Generative KI bringt Chancen und Gefahren
Experten, Medienwissenschafter und Medienmanager loten die Chancen und Risiken der neuen Technologie für Medien, Demokratie und Gesellschaft aus. Für
Verlegerpräsident Masüger ist klar: «Die Gefahren für das Geschäftsmodell des Journalismus und für demokratiepolitische Schäden sind mindestens so gross, wie die Chancen, die KI den Medien
bringen wird.» Es gelte jetzt, die Chancen aktiv zu nutzen und die Risiken zu mindern. So gibt der VSM seinen Mitgliedern Handlungsempfehlungen für den verantwortungsvollen Einsatz der KI im
journalistischen Alltag und richtet gleichzeitig einen Appell an die Techplattformen: es brauche den Schutz des geistigen Eigentums und eine faire Vergütung für die Nutzung journalistischen
Inhalte, es brauche Transparenz über die Mechanismen der generativen KI und es brauche Kooperation zwischen Medienunternehmen und KI-Entwickler und -Betreiber. Nur so könne die mediale
Grundversorgung im KI-Zeitalter sichergestellt werden. Und nur so könnten die demokratischen Prozesse auch in der Schweiz geschützt werden.
Auch Jon Pult, Vize-Präsident der SP und bis Ende letzten Jahres Präsident der medienpolitisch relevanten
Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrates, sieht aufgrund des «dramatischen Rückgangs der Journalismusfinanzierung» nun die Politik gefordert. Angesichts der steigenden
Desinformation «ist ein gesundes, vielfältiges Mediensystem auch eine Frage der nationalen Sicherheit». So sollen unter anderem das Leistungsschutzrecht Disparitäten im digitalen Raum verkleinern
und der Ausbau der indirekten Presseförderung als notwendiges Pflaster für die Medien wirken. Es brauche in Zukunft aber auch eine staatsferne, unabhängig ausgestaltete öffentliche
Journalismus-Finanzierung im Interesse der Gesellschaft, bezahlt etwa über eine Werbesteuer. Im Kampf gegen weltweit aufstrebende Anti-Demokraten sieht Pult zudem das duale Mediensystem in der
Schweiz sowie die uneingeschränkte Pressefreiheit als zentrale liberale Errungenschaft als entscheidende Mittel.
KI bringt vielschichtige Gefahren
Mark Eisenegger vom fög (Forschungsinstitut für Öffentlichkeit und Gesellschaft) fordert einen verantwortungsvollen Umgang der Medien mit KI-Anwendungen, denn aktuell sei die Bevölkerung gemäss einer fög-Umfrage noch skeptisch, wenn KI-Anwendungen im Journalismus genutzt werden. Er lobt aber die Aufklärungsarbeit des VSM, der Ende 2023 Handlungsempfehlungen zum Umgang mit KI publiziert hatte. Auf der anderen Seite müssen aber auch die KI-Systeme Rücksicht auf den Journalismus nehmen, was aktuell nicht ausreichend gegeben sein. Insofern begrüsse er auch Vorgehensweisen wie die Klage von New York Times gegen OpenAI.
INMA-Forscher Greg Piechota wiederum ist besorgt, dass die New York Times mit 250 Beiträgen pro Tag deutlich weniger Artikel publizieren kann als bekannte, KI-generierte Seiten mit 1200 (Quelle: NewsGuard) täglichen Artikeln. Doch nicht nur «der den News-Markt flutende KI-Tsunami» ist ein Problem, sondern auch der Einfluss von KI auf den Besuch klassischer Newsseiten. Piechota stellt auch fest, dass KI-Anwendungen Medienschaffende nicht ersetzen können: So müssen in einem Beispiel die Chefredaktoren über 50% der KI-generierten Zusammenfassung ablehnen. Es braucht also (zum Glück!) weiterhin den Menschen, aber KI hat dennoch zu grossen Veränderungen in Medienunternehmen weltweit geführt.
Panel-Teilnehmende sehen hohen Investitionsbedarf
Vier CEOs von Schweizer Medienunternehmen waren zum Panel eingeladen. Ladina Heimgartner (Ringier), Thomas Kundert (Somedia), Jessica Peppel-Schulz (Tamedia) und Michael Wanner (CH Media) sind sich einig: Die digitale Transformation erfordert hohe Investitionen, weswegen Sparübungen aktuell kaum zu umgehen sind. Gerade das Aufkommen von KI bringe neben Chancen vor allem auch Gefahren mit sich, «auch in den Regionen, nicht nur bei den ganz grossen Playern», ist sich Kundert sicher.
Die Medien hätten in den letzten Jahren aber viel gelernt und lernen müssen, meint Heimgartner. Gerade Kooperationen untereinander seien besser geworden, etwa bezügliche eines gemeinsamen Logins (OneLog). Heimgartner fordert hier konkret die SRG auf: «Die Teilnahme bei OneLog ist wichtiger als die Halbierungsinitiative». Daneben, ergänzt Wanner, brauche es eine rasche inhaltliche Diskussion über den Leistungsauftrag der SRG.
Auch für Peppel-Schulz ist der gemeinsame Gang der Medienbranche in die Zukunft zentral. Sie erwartet, dass sich 2024 alle Player gemeinsam den Herausforderungen stellen – Herausforderungen wie den KI-Tsunami oder steigende Zustellkosten.
Kampf gegen Desinformation: Handeln ist jetzt gefragt
VSM-Geschäftsführer Stefan Wabel erklärt, warum sich der Verlegerverband mit aller Kraft dafür einsetzt, dass die Chancen von KI bestmöglich genutzt und die Risiken bestmöglich minimiert werden können. Er zeigt auf, wie gefährlich und missbräuchlich KI-basierte Medienangebote bereits heute sein können: «KI ist ein Super-Spreader von Fake News». Wabel stellt das KI-Manifest und die Handlungsempfehlungen des VSM für den Umgang mit KI-Anwendungen im Journalismus vor (rechts zum Download verfügbar).
Der aus Österreich zugeschaltete APA-CEO Clemens Pig fragt sich in seinem Buch «Democracy dies
in darkness», wie gefährdet der Journalismus ist. Ein grosses Problem ist grösser werdende «der Vertrauensverlust in der Gesellschaft gegenüber den Medien», der sich aber auch gegenüber Politik
und Wissenschaft zeigt. In einem Super-Wahljahr wie 2024 werde also besonders wichtig sein, dass die glaubwürdigen Medien sich gegen den Fake-News-Tsunami wehren.
Manfred Kluge, Chairman DACH der Omnicom Group, sieht die Verantwortung für die so notwendige Medienvielfalt und -qualität auch bei den Werbekunden und
Mediaagenturen. Der Werbemarkt werde gemäss Prognosen bis 2026 zwar wachsen, die Verteilung werde sich aber weiterhin extrem Richtung Search- und Social-Media-Plattformen verschieben. Zu erwarten
wäre als Folge davon ein breites Mediensterben. Kluge fordert alle zum Handeln auf: Insbesondere Werbeauftraggebende und Agenturen selbst sollten bei der Vergabe ihrer Budgets qualitative
Kriterien höher gewichten.